Dienstag, Juli 16, 2019

Satirisch betrachtet

DIE SCHRIFTGELEHRTEN RECHENKÜNSTLER
4. Juli 2017

Das jenische Volk hat es geschafft, die jahrhundertelange Verfolgung seitens der sesshaft lebenden Bevölkerung zu überleben. Entgegen der zahlreichen Bestrebungen der Länder Europas lebt das jenische Volk noch immer und noch immer gibt es Reisende im jenischen Volk in fast allen Ländern Europas, die sich den Bemühungen, auch die letzten europäischen Nomaden zwangssesshaft zu machen, widersetzen. Die Regierungen der Länder Europas zeichnen sich durch absolute Lernresistenz aus, sie finden immer neue Mittel und Wege das reisende Volk sesshaft zu machen. Kinder, Plätze, Schule, Berufsverbote, so neu ist das alles nicht, es ist eine ständige Umkreisung längst angewendeter Methoden, um auch die letzten Nomaden zur Sesshaftigkeit zu zwingen.

Es gibt sie noch, die Nomaden, auch wenn unsere beiden Harlekine aus jenem Land, das nicht zu Europa gehört, sich nun auch langsam in die Länder Europas vorwagen und ihnen ihr Heil bringen. Einer der beiden Harlekine hat im benachbarten Ausland schon lange Fuss gefasst, nicht ganz ohne Mithilfe der dort engagierten Vereine, die ihm zu dem so dringend benötigten Ruhm im Ausland verhalfen, denn in jenem Land, das nicht zu Europa gehört, findet er nur bei den Obrigkeiten Gehör. Das liegt daran, dass er für sie arbeitet und ihnen dabei hilft, die verarmten Bauern, die keine sind, an Acker und Scholle zurück zu bringen. Nomaden aus dem Ausland, an deren Verhalten man ganz ohne Probleme erkennt, dass sie Nomaden sind, erhalten bei ihm jene Rechte, die er den europäischen Nomaden ganz selbstverständlich nimmt. Das mag auch daran liegen, dass er der Meinung ist, dass die hellhäutige Gesamtbevölkerung in Europa sesshaft zu leben hat. Er weiss doch, was sich gehört.

Er mag keine Diskussionen, er mag den bedingungslosen Gehorsam. In jenem Land, das nicht zu Europa gehört, lässt er sich auf keine Diskussionen ein, er gehorcht bedingungslos. Nun ist er zwar permanent auf Reisen, aber es weiss das zu begründen, denn er ist unterwegs, um die reisende Kultur zu ersticken. Wo auch immer er auftritt, gibt es keine Nomaden mehr, man erinnert sich an sie, es gab sie vor grauer Vorzeit. Heute muss man ein Museum besuchen, um sich dieser längst ausgestorbenen Kultur einst einheimischer europäischer Reisender zu erinnern.

Er ist einer der letzten Sprecher, der den Soziolekt des europäischen reisenden Volks noch beherrscht, alle anderen sind längst ausgestorben, nur noch ein paar wenige alte Männer sprechen diese Sprache, die einst eine Geheimsprache war. Aber da es ja heute keine Reisenden mehr gibt, muss die Sprache vor dem Aussterben bewahrt werden. Seiner Meinung ist es nicht schlimm, dass die Reisenden ausgestorben sind, das ist der Wunsch der Obrigkeiten und dem muss man Folge leisten, aber die Sprache darf nicht aussterben.

Unser Harlekin war ein fleißiger Schüler, er hat rechnen, schreiben und sprechen gelernt, ein absolutes Phänomen unter den Sesshaften, die eher lernresistent sind. Er gehört zu einem kleinen Club älterer Herren, die sich alle sehr langweilen und alle der gleichen Meinung sind, diese Sprache muss weiter leben. Um dies möglich zu machen, werden Bücher erstellt, mit Vokabeln aus der einstigen Geheimsprache, die jeder Interessierte im In- und Ausland kaufen kann. Als Schmankerl für die sesshafte Bevölkerung gibt es die Geheimsprache auch im Museum, man kann sie dort erlernen, sie ist im Eintrittspreis inbegriffen.

Die Freunde der toten europäischen Reisenden haben sich im In- und Ausland zusammen getan in ihrem Wunsch, die Sprache des einst reisenden Volks vor dem Aussterben zu bewahren. Sie vermitteln ihr Wissen Behörden, Universitäten, Lehrbeauftragten und freuen sich, ein gutes Werk getan zu haben. Sie haben die letzten europäischen Nomaden zu Grabe getragen, sie erfreuen sich an der im Museum ausgestellten Kultur des ausgestorbenen reisenden Volks und sind begeistert, dass die Landesschau Baden-Württemberg sich dieses Themas angenommen und in einem sehr interessanten Video ihren Zuhörern genau das erklärt hat, was es auch in der Ausstellung zu lesen gibt und was europäische, insbesondere deutsche Politiker nur zu gerne hören: es gab keine systematische Verfolgung der asozialen, arbeitsscheuen, getarnt schwachsinnigen, verbrecherischen Zigeunermischlinge, dieser nach zigeunerart heimatlos umherirrenden Landfahrer, nur Einzelne von ihnen wurden verfolgt und und nur Einzelne starben in den Konzentrationslagern.

Die alten Herren freuen sich, dass wenigsten ein paar Leute im KZ gestorben sind. Sie sind sehr genügsam, sehr bescheiden, das Volk ist sowieso ausgestorben, da ist das nicht mehr so schlimm. Und es gibt ja nun ein anderes Volk, das noch auf der Reise ist und da hat man doch eine Verantwortung. Der Club der alten Herrn hat, zusammen mit unserem Harlekin und dem Vertreter des zweiten Harlekins, der Eröffnungsfeier beigewohnt und alles für gut befunden, so wie sich das gehört für brave Bürger, die gewohnt sind, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten.

Wie wir gerade erfahren haben, hat sich nun auch der zweite Harlekin, der nicht ganz soviel unterwegs ist, er sitzt mehr am Schreibtisch, um zu schreiben, er schreibt gerne, vor allen Dingen schreibt er gerne anderen vor, wie man zu leben und wen man zu verehren hat und, er meint, dass nur er schreiben könne, denn er sitzt ja bereits am Schreibtisch. Unser zweiter Harlekin hat sich nun also auch bereit erklärt, Vokabelübungen zu machen, man kann sich die Sprache auch bei ihm bestellen, bei ihm gibt es sie kostenlos und nur für Jähnische, selbstverständlich nur für sesshafte Jähnische, denn die anderen sind ja ausgestorben bzw. die paar, die es noch gibt, können ja nicht lesen, nicht schreiben und nicht rechnen. Das können nur die beiden Harlekine und ihre Freunde, sie verdienen sich ihr Geld mit dieser Kunst...




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