Dienstag, Juli 16, 2019

Satire zum Zeitgeschehen

DER STAAT UND SEINE HENKERSKNECHTE
Eine politische Satire im Märchenstil
8. September 2016

Unsere Geschichte spielt in einem kleinen Land, irgendwo in Europa, das nicht Europa ist. In diesem Land wird die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte verhöhnt, was die Rechte der Minderheiten anbelangt, aber da dieses Land nicht Europa ist, interessiert es niemanden.

Und es begab sich, zu einer Zeit als die keltischen Reisenden von vielen Plätzen im Land vertrieben wurden, als Bauern, Bürger, Obrigkeiten und ihre staatlichen Schutzorgane vor Angst erstarrten, wenn sich die Konvois der reisenden Familien ihren Dörfern und Städten näherten, zu einer Zeit als die Fahrenden auf dem Papier als anerkannte Minderheit von Seiten des Bundes bezeichnet wurden, um den Anschein der Demokratie nach außen hin zu wahren, dass wieder einmal jenes Fest stattfinden sollte, dass seit Jahrhunderten die keltischen Reisenden an einem Ort vereint. Die Feckerchilbi, jenes Fest der Reisenden, das auch Bürgern, Bauern und Behörden so gut gefiel, dass sie dem Reisenden Volk einige wenige Tage Unterkunft gewährten, ohne sie zu verfolgen, ohne sie zu verjagen, ohne sie gefangen zu nehmen.

In diesem Jahr sollte dieses Fest in jenem Ort statt finden, in dem die Reisenden einige Jahre zuvor anläßlich einer friedlichen Kundgebung auf ihrem Platz von den Staatssicherheitsorganen umstellt, mit auf der Haut beschriebenen Nummern versehen und in Handschellen abgeführt wurden. Was für die Reisenden eine Demütigung, eine Entrechtung und ein Schlag ins Gesicht ist, ist für unsere Hofnarren ein Grund zum feiern an jenem Ort, denn es ist historisch belegt, dass Reisende gefangen genommen und vertrieben werden. Nur das Fest kann ungehindert stattfinden, in dieser Zeit wird die Verfolgung ausgesetzt.

Die Feckerchilbi, dieses Fest der Reisenden, das nur selten jedes Jahr stattfinden konnte, war ein ganz besonderes Fest. Man traf sich von Nah und Fern, begegnete einander nach der langen Zeit der Trennung wieder. Jeder freute sich, die Seinigen wiederzutreffen. Die Wagen der Reisenden fanden ihren Platz auf dem Festgelände, man hatte es nicht weit, vom Wagen zur Kirche, zum Markt, zum Feuer. Nach der Sitte der Reisenden bildeten die Wagen einen Kreis um das Festgelände. Im Inneren des Wagenkreises fand das Fest statt: Verkaufsbuden, Musiker, Handwerk und Künste, hier bot man seine Waren an, nach dem gemeinsamen Gebet in der Kirche. Wer Lust hatte, konnte sich auch sportlich betätigen und in einem Wettkampf seine Treffsicherheit unter Beweis stellen, beim gemeinsamen Botschen. Abends saß man beieinander am Feuer, tauschte Erfahrungen aus und genoss die Gemeinschaft mit einander.

Das war der Ablauf der Feckerchilbi während vieler Jahrhunderte, damals als man die Reisenden von den Plätzen vertrieb, sie aus den Ortschaften jagte, damals als Bauern, Bürger und Obrigkeiten noch vor Angst erstarrten, wenn sich die Wohnwagenkonvois einer reisenden Großfamilie einem Dorf oder einer Stadt näherten. Das hat sich bis heute nicht geändert, aber damals wurde die Kultur der keltischen Reisenden wenigstens zu Zeiten der Feckerchilbi anerkannt und geehrt. Bauern und Bürger, Ratsleute, Gemeindevorstände wussten noch um die Kultur der Nomaden, die sie an ihrem Fest lebten. Damals war die Feckerchilbi das Fest aller Nomaden aus dem gesamten Land und den angrenzenden Gebieten.

Aber dann, nach der schrecklichen Zeit der Kindeswegnahmen, brauchten die Obrigkeiten Mitstreiter aus den Reihen der keltischen Reisenden, um nach außen hin zu zeigen, dass die Demokratie in diesem Land nicht nur ein Wort ist. Es ist eine gelebte Staatsform, in der Reisende zu Wort kommen und mitreden dürfen. Gleich und gleich gesellt sich gern. Wenn man nichts weiß, nichts wissen will und nichts versteht, ist es seit Altersher Brauch, sich Hofnarren zu halten. Man nimmt sie in Dienst, bezahlt sie gut, um sie bei Laune zu halten und tut so, als hätten sie etwas zu sagen.

Hofnarren dienen nicht nur zur Belustigung, sie dienen auch als Märchenerzähler und Geschichtenschreiber, sie nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, aber darauf kommt es ja auch nicht an. Sie stehen im Dienst der Herrschaft, sie tun, was die Herrschaft wünscht, sie halten das Fahrende Volk in ihrem Auftrag klein, sie haben gegenüber ihrem Volk das Sagen und zeigen ihm ihre Macht. Zur Herrschaft hin können sie diese Macht nicht demonstrieren, aber sie können das eigene Volk ausbeuten, sie können diesem Volk zeigen, wer das Sagen hat. Das eigene Volk muss ihnen gehorchen. Welche Macht haben sie doch, diese Hofnarren...

Sie haben die Macht, die die Herrschaft ihnen gegeben hat, als sie die Hofnarren in Dienst nahm. Einer dieser Hofnarren, ein langer hagerer Typ mit einer weithin leuchtenden Glatze ist ein ganz besonderer Schlaumeier. Er dachte lange nach und entdeckte, dass Worte unterschiedliche Bedeutung haben können. Jeder ist sich selbst der Nächste. Man hilft sich selbst. Ja, genau das war es, man gründete eine Selbsthilfeorganisation und tut seitdem ein gutes Werk, man hilft sich selbst. Das ist doch der Sinn der Sache? Daher das Wort. Dass Manche etwas anderes darunter verstehen, ja nun, nicht jeder kann alles verstehen und es ist ja auch nicht jeder gleich.

Der Herrschaft ist es egal, in welcher Weise diese lustigen Gesellen die Gelder anwenden, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Der Schein ist gewahrt, mehr braucht es nicht. Nach außen hin steht man gut da, man hat sich entschuldigt für das Unrecht, das doch eigentlich so unrecht gar nicht war, denn man tat ein gutes Werk, man erzog die Kinder der Reisenden außerhalb ihrer Familien zu ordentlichen und gottesfürchtigen Menschen. Arbeit hat noch niemandem geschadet, Schläge fördern den Gehorsam, brechen den Willen und so manchem das Genick, aber wenn man hobelt, fallen Späne.

Die Obrigkeiten taten sich sehr schwer damit, aber man musste nach außen den Anschein wahren, dass man dieses - doch eigentlich gute Werk am Nächsten - bitter bereute und wenigstens so tun, als würde man die Opfer dieser - bedauerlicherweise vorzeitig ans Licht der Öffentlichkeit gelangten - Geschichte entschädigen. Kleine Beträge reichten da, es ging ja nicht um Wichtiges. Vaganten, welch überflüssige Geldverschwendung, man wollte sie los werden, nun sollte man Wiedergutmachungs-Leistungen zahlen. Für etwas so Unwichtiges wie Vaganten, die man doch gar nicht mehr haben wollte. Aber, nach außen hin, Ihr versteht das sicher, der Schein muss gewahrt bleiben.

Die Obrigkeiten entschieden wenigstens einen kleinen unauffälligen Betrag zur Verfügung zu stellen und gaben diese Gelder unserem Hofnarren mit der Selbsthilfeorganisation in die er alle seine Familienmitglieder und seine Freunde eingeladen hatte, damit auch sie zu den Begünstigten der Herrschaft gehören. Sie passen gut auf, dass niemand aus dem Volk dazu kommt, nicht auszudenken, was passiert, wenn jemand sie verrät. Sie sind eine eigene Kaste, eine winzig kleine Minderheit in der Minderheit der keltischen Fahrenden, die schon lange nicht mehr fährt. Sie kassieren. Sie kassieren alles. Sie kassieren die Gelder, die für ihr Volk bestimmt sind und beanspruchen die Leistungen und den Ruhm der Volksbewegung für sich. Die Leistungen des eigenen Volks werden zu den Leistungen der Kaste der Hofnarren.

Sie geben Presseerklärungen heraus mit denen sie zeigen, welche Leistungen sie erbracht haben und was noch getan werden muss. Dann ruhen sie sich lange von dieser Anstrengung aus. Beim Jagen kann man sich so herrlich entspannen, man spannt ja nur den Zeigefinger kurz an, um sich einen leckeren Braten zu gönnen. Die Finanzierung der Jagd geschieht aus der Staatskasse zugunsten der armen - nach Meinung der hochgestellten Hofnarren - ungebildeten Reisenden, die angeblich nicht lesen und nicht schreiben können. Die Hofnarren, die ja nun schon lange sesshaft bei Hofe leben, haben die Entwicklung der Reisenden zu einem modernen Volk verpasst. Auch die alten Traditionen und Gebräuche der Reisenden sind bei ihnen in Vergessenheit geraten. Sie haben sich ihrer Herrschaft und deren Kultur angepasst.

Die Hofnarren wollen, dass die letzten einheimischen Reisenden ebenfalls sesshaft werden, damit sie endlich als sesshafte Minderheit anerkannt werden können, denn ihrer Meinung sind Nomaden ein sesshaft lebendes Volk. Die letzten einheimischen Fahrenden werden begreifen, dass die Zeit des unsteten Umherirren zu Ende geht. Unsere Hofnarren sorgen dafür, damit ihre Herrschaft zufrieden ist und die letzten keltischen Fahrenden bald nur noch Erinnerung an eine vergangene Zeit sind.

Die alte überlieferte Kultur der keltischen Reisenden wird ebenso sterben wie die Feckerchilbi in ihrer traditionellen Form, denn sie ist ein Fest der Sesshaften geworden, man parkt außerhalb und fährt mit dem Bus zum Jahrmarkt der Reichen, zu einem Jahrmarkt, der nach außen hin den Anschein erweckt, jenes traditionelle Fest zu sein, das es einmal war. Der Schein ist gewahrt und darauf kommt es an. Es ist nicht mehr von Wichtigkeit wer man ist, wichtig ist, was man hat und dass man es zeigen kann. Man hat das Geld und die Macht, um die einheimischen Fahrenden sesshaft zu machen. Im Auftrag, mit Wissen und Vollmacht der Obrigkeiten.

Die Obrigkeiten lachen sich ins Fäustchen, sie haben ihr Ziel fast erreicht. Was war das doch eine geniale Idee, ein paar Hofnarren aus dem Volk der Reisenden einzustellen. Sie machen genau das, was sie machen sollen, aber dafür werden sie ja auch sehr gut bezahlt. Sie machen eigentlich garnichts, sie stehlen dem lieben Herrgott den Tag, aber sie unterdrücken das Fahrende Volk und das ist ja der Sinn der Sache. Sie zeigen ihre Macht, sie sind die Diktatoren und die Obrigkeit wahrt den Schein, eine Demokratie zu sein.

Eine Volksbewegung von Reisenden, die mit ein paar hundert Leuten auf ein Zuwenig an Plätzen hinweist, stört, denn das sollte im Ausland besser nicht bekannt werden, wie steht man denn dann da, wenn man dieser ‘schutzwürdigen anerkannten Minderheit der Fahrenden’ zu ihrem eigenen Besten nicht genug Plätze zur Verfügung stellen kann. Wir achten sehr darauf, dass keine Volksaufklärung zur Jahrhunderte alten Geschichte des Fahrenden Volks stattfindet und dass die Gemeinden in den Kantonen nur wenige oder garkeine Plätze zur Verfügung stellen. An dieser Stelle haben wir, in den entscheidenden Positionen, keine Hofnarren eingesetzt, denn das ist zu riskant. Diese Aufgabe bleibt in unserer Hand, in der Hand der Obrigkeit. Nur wir wissen, wie die Zukunft der keltischen Fahrenden aussieht. Die Hofnarren helfen uns dabei und freuen sich jetzt auf die Feckerchilbi, die wir ihnen finanziert haben, um ihnen zu zeigen, wie gewogen wir ihnen sind.

Einige wenige ewig gestrige Fahrende wollen diese Feier boykottieren, wenns hoch kommt zirka 5000 Leute, die anderen haben wir schon alle sesshaft gemacht, aber wen interessieren die paar Leute. Die Feckerchilbi ist jetzt ein Fest des Mehrheitsvolks, ein Volksfest bei dem der Rubel in die Taschen unserer Hofnarren rollt. Wir gönnen es ihnen, denn sie leisten ganze Arbeit.

Der Stadtschreiber




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